Braucht es eine BIM-Pflicht? 
  • Warum gelingt es einigen Ländern, BIM erfolgreich in der Bauwirtschaft zu etablieren, während andere hinterherhinken?
  • Weshalb setzen manche Unternehmen auf digitale Prozesse, während viele noch an traditionellen Arbeitsweisen festhalten?

 

Wir haben uns gemeinsam mit zwei ausgewiesenen Experten diesem für die Baubranche elementaren Thema angenähert.

Unsere Experten im Gespräch zur BIM-Pflicht

Heinz Ruhland | Bausoftware Der Zukunft | Nevaris Bausoftware

Heinz-Michael Ruhland:

  • Evangelist BIM(M) bei NEVARIS
  • Dozent das Thema Digitalisierung im Baugewerbe.
  • Mitglied in Normierungs- und Innovations-Gremien der Baubranche. 
Stefan Pernet | Bausoftware Der Zukunft | Nevaris Bausoftware

Stefan Pernet:

  • Teamleiter der Kalkulation bei NEVARIS
  • Mitglied in Normierungs- und Innovations-Gremien der österreichischen Baubranche. 

Building Information Modeling (BIM) wird oft als Schlüsseltechnologie für die Zukunft der Bauindustrie bezeichnet, doch die Realität zeigt ein uneinheitliches Bild:

1

Großbritannien

2

USA

3

Kanada

4

China

5

Japan

6

Singapur

7

Skandinavische Länder

gelten als Vorreiter, während Deutschland und Österreich mit niedrigeren Nutzungsgraden und schleppender Umsetzung kämpfen. 

Die zentralen Fragen lauten daher:

  • Kann eine freiwillige Einführung von BIM ausreichen, um die Vorteile dieser Methode voll auszuschöpfen, oder ist eine gesetzliche Verpflichtung nötig, um die Digitalisierung der Branche zu beschleunigen?
  • Welche Hindernisse stehen dem Fortschritt im Weg? Fehlen den Unternehmen die technischen Ressourcen, das nötige Wissen oder schlicht die Motivation?

Diese Fragen berühren nicht nur die technologische, sondern auch die kulturelle und wirtschaftliche Dimension der Bauwirtschaft. Unsere Experten Heinz-Michael Ruhland und Ing. Stefan Pernet betonen, dass BIM weit mehr ist als ein Modellierungswerkzeug: „Die Digitalisierung muss die gesamte Wertschöpfungskette erfassen. Es geht darum, Daten effizient zu managen und nachhaltige Prozesse zu ermöglichen.“  

Internationale Perspektive: Was machen erfolgreiche BIM-Umsetzungen aus? 

 

Ein Blick ins Ausland zeigt: Länder, die BIM erfolgreich implementiert haben, setzen auf klare Vorgaben, staatliche Unterstützung und eine enge Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren. In Großbritannien ist BIM seit 2016 für öffentliche Bauprojekte ab einer bestimmten Größenordnung verpflichtend. Diese Vorgabe wurde mit einem strategischen Plan eingeführt, der auf einfache Workflows und praktische Umsetzbarkeit setzt. Das Konzept des „Early Contractor Involvement“ hat sich dabei als besonders effektiv erwiesen. 

 

„Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen“, zitiert Heinz-Michael Ruhland den italienischen Anwalt, Politiker und Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini (1805 – 1872) und verweist damit auf die Bedeutung eines innovativen Managements und einer klaren Zielsetzung. Nach seiner Einschätzung ist die Vorgehensweise der skandinavischen Länder ein guter Best-Practice-Ansatz. Statt sich auf komplexe Normen zu konzentrieren, setzen diese Länder auf praxiserprobte, flexible Workflows, die später in Richtlinien münden. „Die nordischen Länder haben vorgemacht, wie man mit pragmatischen Ansätzen Fortschritte erzielt“, so Heinz-Michael Ruhland. Dieser Ansatz kontrastiert deutlich mit den bürokratischeren Verfahren in Deutschland und Österreich. Trotz dieser positiven Beispiele bleibt die Frage: Warum gelingt es in anderen Ländern nicht, ähnliche Fortschritte zu erzielen?  

Status Quo: Wo stehen Deutschland und Österreich? 

 

In Deutschland und Österreich bleibt die Nutzung von BIM hinter den Erwartungen zurück. In Deutschland nutzen zwar rund 70 Prozent der Unternehmen in der Bauwirtschaft BIM, doch sind es vor allem Architekten und Planungsbüros, während Bauunternehmen oft noch auf traditionellen Arbeitsweisen setzen. Besonders verbreitet ist in Deutschland BIM auf Level 2, bei dem digitale Modelle zwar genutzt, jedoch nicht vollständig in vernetzte Prozesse integriert werden. 

Zur Erklärung: Die BIM-Level beschreiben den Fortschritt bei der Digitalisierung und der Zusammenarbeit im Bauwesen. Level 1 ist der Einstieg mit begrenzter digitaler Nutzung, Level 2 etabliert standardisierten Austausch, und Level 3 steht für die vollständige Integration in ein vernetztes, digitales Ökosystem.  

In Österreich gestaltet sich die Situation noch zögerlicher. Mit der ÖNORM A 6241-2 existieren zwar fortschrittliche Standards, doch die tatsächliche Nutzung von BIM ist mit etwa 20 Prozent vergleichsweise gering. „Die ÖNORM bietet zwar eine Grundlage, aber es fehlt an Anreizen und einer breiteren Akzeptanz, vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen“, erklärt Stefan Pernet. 

Überregulierung bremst Innovationen im Bauwesen   

 

Ein wesentlicher Grund für die schleppende Umsetzung in beiden Ländern ist die Vielzahl von Normen und Standards. In Deutschland müssen Planer und Bauunternehmen rund 20.000 Bauvorschriften und Tausende von Regelwerken einhalten. „Die Regulierungsdichte ist enorm. Wir haben in Deutschland etwa 3.900 Normen, die berücksichtigt werden müssen. Das ist nicht förderlich für eine reibungslose Digitalisierung und digitale Workflows“, so Heinz-Michael Ruhland.  

 

Die Vielzahl an bestehenden Regelungen führt dazu, dass digitale Workflows oft nicht nahtlos in die Praxis integriert werden können. „In Deutschland haben wir das Problem, dass zunächst unzählige Eventualitäten durch Normen abgedeckt werden, bevor ein funktionierender Workflow entsteht. Die nordischen Länder haben gezeigt, dass es oft besser ist, pragmatisch zu starten und die Standards später zu entwickeln“, erklärt Heinz-Michael Ruhland. Dieser normative Überhang verhindert nicht nur Innovationen, sondern sorgt auch für Unsicherheit bei der Einführung neuer Technologien. 

Kostenfaktor bleibt eine zentrale Hürde   

 

Ein weiteres großes Hindernis ist der Kostenfaktor. Während große Unternehmen die finanziellen Mittel haben, in Software und Schulungen zu investieren, stellen diese Anforderungen für kleine und mittelständische Betriebe oft eine Hürde dar. „Die Kosten für die Implementierung von BIM sind nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch der langfristigen Personalentwicklung“, erläutert Stefan Pernet.

Unternehmen müssen entweder Fachkräfte einstellen, die bereits Erfahrung mit BIM haben, oder ihre eigenen Mitarbeiter schulen, was Zeit und Geld kostet.

Stefan Pernet Neu | Bausoftware Der Zukunft | Nevaris Bausoftware

Stefan Pernet

Teamleiter Kalkulation

Traditionelle Strukturen behindern den Fortschritt

 

Auch die kulturelle Einstellung in der Bauwirtschaft spielt eine wesentliche Rolle. Traditionelle Arbeitsweisen und eine Skepsis gegenüber Innovationen führen dazu, dass neue Ansätze nur langsam umgesetzt werden. „Die häufigsten Argumente in der Branche lauten: „Das haben wir noch nie so gemacht“ und „Das haben wir schon immer so gemacht“. „Diese Denkweise behindert den Fortschritt enorm“, merkt Heinz-Michael Ruhland kritisch an. 

Unklare Mehrwerte hemmen die Nachfrage nach BIM

 

Neben den internen Barrieren gibt es auch externe Herausforderungen. Die Nachfrage nach BIM wird häufig durch eine mangelnde Kenntnis der Bauherren und Auftraggeber über den Nutzen und die Vorteile gebremst. „Wenn Kunden nicht erkennen, welchen Mehrwert BIM bietet, bleibt auch der Anreiz für Bauunternehmen gering, diese Technologie einzusetzen“, so Stefan Pernet. Eine gezielte Aufklärung und ein stärkeres Bewusstsein für die Vorteile digitaler Bauprozesse könnten hier Abhilfe schaffen. 

Junge Fachkräfte fördern den digitalen Wandel

 

Trotz der Hindernisse gibt es auch positive Entwicklungen. Hochschulen und Universitäten leisten wichtige Arbeit, indem sie Studierende frühzeitig an digitale Workflows heranführen. Stefan Pernet betont: „Die neue Generation bringt eine hohe Affinität für vernetztes Arbeiten mit. Das wird langfristig einen positiven Einfluss auf die Branche haben.“ Die Absolventen sind mit digitalen Technologien vertraut. Sie werden als Treiber der Digitalisierung gesehen. „Die Digitalisierung wird in jedem Fall kommen – insbesondere durch junge Menschen, die mit diesen Technologien aufgewachsen sind“, fasst Stefan Pernet zusammen. 

Nevaris und die Rolle der Digitalisierung in der Bauwirtschaft 

 

Nevaris arbeitet intensiv daran, den digitalen Fortschritt in der Baubranche zu beschleunigen. Heinz-Michael Ruhland betont dabei die Bedeutung einer praxisnahen Digitalisierung: „Wir sprechen bei Nevaris nicht nur von BIM, sondern über Digitalisierung als Ganzes.“ Mit dem Ansatz BIM(M), also Building Information Modeling plus Management“ verfolgt das Unternehmen eine ganzheitliche Perspektive: Neben der Modellierung liegt der Fokus auf dem Datenmanagement entlang der gesamten Wertschöpfungskette. 

 

Nevaris unterstützt die Digitalisierung in der Bauwirtschaft durch ein Softwareangebot, das sowohl bautechnische als auch kaufmännische Prozesse miteinander verknüpft. Diese Integration schafft Transparenz und hilft Unternehmen, fundierte Entscheidungen zu treffen, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch langfristig nachhaltig sind.  

Frühzeitige Qualifizierung von Fachkräften als strategischer Fokus

 

Auch bei der Aus- und Weiterbildung sieht Nevaris eine zentrale Rolle für die Digitalisierung. Durch Kooperationen mit Hochschulen und Bildungsinstituten stellt das Unternehmen sicher, dass angehende Fachkräfte frühzeitig mit den notwendigen Werkzeugen und Konzepten vertraut gemacht werden. „Diese Zukunftsorientierung ist ein entscheidender Bestandteil der Strategie von Nevaris“, sagt Stefan Pernet. 

Digitale Workflows als Grundlage für nachhaltige Bauprojekte

 

Ein weiterer Fokus liegt auf der Förderung der Digitalisierung im Kontext von Nachhaltigkeit. Digitale Workflows erleichtern die Integration von Umweltinformationen und Materialdaten in Planungsprozesse. Dadurch können Unternehmen beispielsweise ökologische Aspekte ihrer Projekte genauer bewerten oder Nachhaltigkeitszertifikate gezielt anstreben. „Nachhaltigkeit braucht Digitalisierung“, erklärt Heinz-Michael Ruhland.

Ohne digitale Daten und Prozesse ist es schwierig, die notwendige Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der Bauwirtschaft zu gewährleisten.

Nevaris Blog Lean Construction Heinz Michael Ruhland | Bausoftware Der Zukunft | Nevaris Bausoftware

Heinz-Michael Ruhland

BIM(M) Evangelist

Digitalisierung als Grundlage für ökologische und wirtschaftliche Ziele   

 

Vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen wie Ressourcenknappheit, Klimaschutz und zirkuläres Wirtschaften stellt sich die Frage nach einer Pflicht zu BIM oder zur Digitalisierung eigentlich nicht. Denn Digitalisierung ist diesem Kontext die Schlüsseltechnologie, um ökologische und ökonomische Ziele miteinander zu verbinden und effizient zu realisieren. 

Transparenz über den gesamten Lebenszyklus von Bauprojekten

 

Ein zentraler Vorteil von BIM ist die Möglichkeit, Umwelt- und Materialdaten direkt in digitale Modelle zu integrieren. Dies schafft Transparenz über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks – von der Planung und Errichtung bis zum Rückbau. Durch die Integration von Umweltproduktdeklarationen (EPDs) können Unternehmen beispielsweise den CO2-Fußabdruck eines Projekts frühzeitig bewerten und Maßnahmen ergreifen, um diesen zu optimieren. „Nachhaltigkeit ist ohne Digitalisierung nicht denkbar. Nur durch präzise Daten und digitale Prozesse können wir nachhaltige Entscheidungen treffen und diese nachvollziehbar machen“, erklärt Heinz-Michael Ruhland. 

Nachhaltigkeitszertifikate werden durch zentrale Daten planbar

 

Darüber hinaus ist BIM wesentlich, um Nachhaltigkeitszertifikate zu erlangen, da alle relevanten Informationen zentral verfügbar sind. Besonders gut gelöst ist Nachhaltigkeitsbewertung in Österreich mit dem Ökobilanzierungssystem OI3, das es ermöglicht, ökologische Kennwerte eines Gebäudes sehr übersichtlich und anschaulich darzustellen und damit für Fördermaßnahmen heranzuziehen. „Durch Standards wie OI3 wird Nachhaltigkeit greifbar und wirtschaftlich attraktiv. Das ist ein gutes Vorbild“, so Heinz-Michael Ruhland.  

Fazit und Empfehlungen

Die Frage, ob eine gesetzliche Verpflichtung zu BIM nötig ist, bleibt also kontrovers. Während Länder wie Großbritannien frühzeitige Vorgaben und die nordischen Staaten durch pragmatische Strategien Vorreiterrollen übernommen haben, zeigt sich in Deutschland und Österreich ein anderes Bild. Hier wird BIM zwar bereits in vielen Bereichen eingesetzt, jedoch oft fragmentiert und ohne umfassende Integration in alle Prozesse. 

Die Vielzahl an Normen insbesondere im deutschen Bauwesen stellt eine erhebliche Herausforderung und Hürde für die Digitalisierung dar. Denn damit entsteht eine Komplexität, die die Implementierung digitaler Workflows erschwert. Diese Regulierungsdichte kann die Innovationen hemmen und führt zu Unsicherheiten bei der Einführung neuer Technologien wie BIM und weiteren digitalen Prozessen. 

Um die Digitalisierung effektiv voranzutreiben, bedarf es daher einer Vereinfachung und Harmonisierung der bestehenden Normenlandschaft. Ziel sollte es sein, Normen zu entwickeln, die digitale Prozesse unterstützen und standardisierte Austauschformate fördern. Offene Standards spielen hierbei eine entscheidende Rolle, da sie die Interoperabilität zwischen verschiedenen Softwarelösungen ermöglichen und somit die Zusammenarbeit aller Beteiligten erleichtern. 

Die Einführung solcher digitalisierungsfreundlichen Normen erfordert jedoch ein Umdenken in der Branche. Es gilt, den Fokus von der Abdeckung aller Eventualitäten hin zu praxisorientierten und flexiblen Regelwerken zu verschieben, die den dynamischen Anforderungen moderner Bauprojekte gerecht werden. Dieser Wandel kann durch eine enge Zusammenarbeit aller Akteure – von Normungsgremien über Unternehmen bis hin zu Bildungseinrichtungen – erreicht werden. Die Reduktion und Anpassung der Normenlandschaft im Bauwesen ist ein zentraler Schritt, um digitale Workflows zu ermöglichen und die Digitalisierung der Branche voranzutreiben. Nur durch die Schaffung eines normativen Rahmens, der Innovationen fördert und nicht behindert, kann das volle Potenzial von BIM und anderen digitalen Technologien ausgeschöpft werden. 

Fotos: Adobe Stock, NEVARIS