In herausfordernden Zeiten Chancen erkennen und nutzen – genau das ist der Ansatz von Ruth Schiffmann, Geschäftsführerin von NEVARIS.
Im Gespräch verriet sie uns, warum der Fokus auf kleinen Unternehmen liegt, wo politischer Handlungsbedarf für die Bauwirtschaft besteht und dass Themen wie Informationssicherheit, Standardisierung und Automatisierung zentrale Zukunftsaufgaben sind.
Wie Ruth Schiffmann Krisen als Möglichkeit begreift, um produktiven Mehrwert für Kunden zu schaffen, und wie NEVARIS den Bausektor mit innovativer Technologie stärkt, erfahren Sie in diesem Interview, geführt von Redakteur Tim Westphal.
Tim Westphal: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für unsere Bauwirtschaft, insbesondere bei den kleinen und mittleren Bauunternehmen, die für NEVARIS wichtige Zielgruppe sind?
Ruth Schiffmann: Es kommen immer neue und weitere Anforderungen hinzu, während viele der kleinen Unternehmen weder die Möglichkeiten noch Ressourcen haben, passende Antworten zu finden.
Nachhaltigkeit und Informationssicherheit sind neue Anforderungsbereiche, die ebenso wichtig wie aufwändig sind. Umso notwendiger ist es, insbesondere für die kleineren Unternehmen passende Angebote zu erarbeiten, damit sie am Markt bestehen. Wir arbeiten als Softwarehersteller darum kontinuierlich daran, unsere Kunden mit einfachen, modularen und Cloud-basierten Lösungen so weit wie möglich zu entlasten. Mein Appell an die Politik lautet: Sie muss sich auf die Vereinfachung des Bauens konzentrieren. Überall dort, wo Regulierungen nicht zwingend notwendig sind, sollten endlich Erleichterungen möglich werden!
Tim Westphal: Die Digitalisierung der Planungs- und Bauprozesse schreitet voran. Der Mittelstand muss hierfür zu einem der Treiber werden. Wie kann NEVARIS dabei unterstützen?
Ruth Schiffmann: Ein besonderer Fokus liegt auf Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitenden, die fast 90 % der Branche ausmachen. Während viele Softwareanbieter nur große Kunden bedienen, setzen wir auf Lösungen mit geringen Einstiegshürden, die einfach in Beschaffung, Implementierung und Nutzung sind und einen schnellen ROI (Return on Invest) bieten.
Nachhaltigkeit ist dabei ein zentraler Aspekt: Unsere Projektsoftware NEVARIS Build integriert Nachhaltigkeit direkt in die Kalkulationsprozesse. Neben den Kosten werden CO2-Werte berechnet, um nachhaltige Entscheidungen von Anfang an zu ermöglichen. So machen wir Digitalisierung und Nachhaltigkeit für die gesamte Branche zugänglich.
Tim Westphal: Lässt sich aktuell schon eine Belebung im deutschen Bauwirtschafts-Sektor erkennen? Was wären denn die Anzeichen dafür?
Ruth Schiffmann: Wir beobachten wie alle sehr genau die gemeldeten Branchenzahlen und erkennen seit dem zweiten Halbjahr 2024 nach längerer Zeit einen leichten Anstieg bei den Auftragseingängen. In unserem NEVARIS-Alltag sehen wir auf der einen Seite, dass sich die „Schockstarre“ etwas löst, dass man sich wieder auf die Zukunft vorbereitet und vermehrt Investitionen freigegeben werden.
Das ist stets ein Zeichen dafür, dass man sich auf eine veränderte Situation eingestellt hat. Und es ist meiner Meinung nach Voraussetzung für eine Normalisierung und ein hoffentlich bald wieder florierendes Geschäft. Auf der anderen Seite stehen aber leider vermehrt Insolvenzen. Aktuell betreffen sie vor allem kleinere Unternehmen und Mittelständler. Das wird wohl noch einige Zeit andauern.
Tim Westphal: Wird die Baubranche im Moment kranker geredet, als sie ist?
Ruth Schiffmann: Ich hatte es schon erwähnt: die Insolvenzen. Nichts ist realer als Insolvenzen! Auf der anderen Seite ist es so, dass sich in den weniger sonnigen Zeiten zeigt, wer zukunfts- und krisenfest aufgestellt ist. Insofern muss man sicherlich zwischen der aktuellen Situation einer ganzen Branche und der Lage eines einzelnen Unternehmens unterscheiden. Die Baubranche in Deutschland trägt mit fast 6 % weiterhin einen erheblichen Anteil zur gesamten Bruttowertschöpfung bei und ist für die Erreichung unserer gesellschaftlichen Ziele – insbesondere im Nachhaltigkeitsbereich – unverzichtbar.
Das Bild bei unseren Nachbarn sieht ähnlich aus: In Österreich erwirtschaftete sie im Jahr 2023 über 6 %, in der Schweiz mehr als 5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Wir stellen außerdem fest, dass sich viele Unternehmen unter dem momentanen Druck fokussieren und wichtige Entscheidungen für ihre Zukunftsfähigkeit treffen.
Wenn dies auch von der Politik entsprechend unterstützt und umgesetzt wird, haben wir die Chance, äußerst gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Ja. Es ist in vielen Bereichen immer noch schwer.
Wir müssen uns manchmal zwingen, uns auf die Potenziale und Chancen zu konzentrieren und nicht nur alles schwarzzumalen – vor allem in der öffentlichen Diskussion!
Ruth Schiffmann
CEO, NEVARIS
Tim Westphal: Welche Themen brennen aktuell „unter den Nägeln“?
Ruth Schiffmann: In Debatten zwischen Baubranche und Politik dominieren Themen wie Investitionen, Überregulierung und Fachkräftemangel. Eine Studie des IW zeigt diese Handlungsfelder detailliert auf. Doch zunehmend rücken Nachhaltigkeit und Informationssicherheit in den Fokus – komplexe, gesetzlich regulierte Bereiche, die Know-how und Investitionen erfordern und über die Wettbewerbsfähigkeit entscheiden.
Digitalisierung bleibt ein wichtiges Werkzeug, darf aber kein Selbstzweck sein. Gleiches gilt für Künstliche Intelligenz: Der Fokus muss auf ihrem konkreten Nutzen liegen, statt auf reiner Technologiepräsenz. Es geht darum, klare Ziele zu definieren und diese gezielt zu erreichen.
Bauunternehmen sollten ihre Zeit dort investieren können, wo ihre Wertschöpfung stattfindet:
In der Umsetzung auf der Baustelle.
Ruth Schiffmann
CEO, NEVARIS
Auf den Punkt. Wo ansetzen?
Bauunternehmen müssen zukunftsfähig und wettbewerbsfähig sein. Wesentliche Herausforderungen sind Fachkräftemangel, Produktivität, Nachhaltigkeit, Informationssicherheit und Flexibilität. Digitalisierung ist dabei unverzichtbar.
Effektive Zusammenarbeit erfordert digitale Standards und offene Systeme, um einen reibungslosen Datenfluss sicherzustellen. Politik kann durch Bürokratieabbau helfen, den Fokus auf die Kernarbeit vor Ort zu legen.
Die Baubranche muss produktiver werden. Trotz technologischer Innovationen gab es hier kaum Fortschritte. Unternehmen sollten repetitive Aufgaben automatisieren und standardisieren, um Fachkräfte effizient einzusetzen. Verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit reduziert Fehler und Kosten.
Offene Systeme und Standards steigern Effizienz und fördern Spezialisierung. Standardisierung minimiert Routineaufwand, während individuelle Stärken erhalten bleiben. So unterstützt Software Kostensenkung und Wettbewerbsvorteile.
Tim Westphal: Wir haben viel über Digitalisierung gesprochen.
Welche Themen werden darüber hinaus das Bauen in der Zukunft bestimmen?
Ruth Schiffmann: Wir haben die zentralen Themen bereits beleuchtet. Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz sind essenziell, um Klimaziele durch nachhaltiges Planen und Bauen zu erreichen. Ebenso gewinnt die Informationssicherheit an Bedeutung: Digitalisierung und KI bieten Chancen, bergen jedoch auch Risiken, die beherrscht werden müssen. Eine Balance zwischen Sicherheit und pragmatischem Handeln wird entscheidend sein.
Auch die Automatisierung repetitiver Prozesse ist angesichts des Fachkräftemangels unverzichtbar. Erfolgreiche Unternehmen setzen hier an, um sich auf ihre Kernkompetenzen und Wertschöpfung zu konzentrieren.
Im direkten Zusammenhang mit der Automatisierung steht die Standardisierung in der Bauwirtschaft und auf allen Ebenen – vom Unternehmen, über die Prozesse und Bauweisen bis hin zum sinnhaften Einsatz neuer Technologien. Durch ein höheres Maß der Standardisierung lassen sich außerdem wichtige Produktivitätsgewinne erzielen.
Die Politik muss sich auf die Vereinfachung des Bauens konzentrieren. Überall dort, wo Regulierungen nicht zwingend notwendig sind, sollten endlich Erleichterungen möglich werden.
Ruth Schiffmann
CEO, NEVARIS
Ruth Schiffmann: Nicht zuletzt sind die politischen Rahmenbedingungen entscheidend: Mit den notwendigen Normen und Regelwerken, Investitionen in eine CO2-neutrale Bauwirtschaft oder der gezielten Förderung von Zukunftstechnologien kann die Politik die gesamte Branche entscheiden prägen.
Tim Westphal: Vielen Dank für das Gespräch.
Über den Autor Tim Westphal
Architekturstudium und Abschluss mit Diplom, Arbeit in der Planung, Volontariat, langjähriger Redakteur bei DETAIL/München. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. zwei Fachbücher, Vorträge, Moderationen, Begleitung von Fachworkshops und Veranstaltungen. Schwerpunkte: Digitalisierung, BIM und KI im Bauwesen – Entwicklungen und Tendenzen. Seit 2016 selbstständig mit eigener PR- und Kommunikationsagentur sowie Beratungsdienstleistungen im Architektursektor.