BIM: Stufe 2 zum Digitalen Bauen bei Infrastrukturbau ist umgesetzt

EXPERTEN-INTERVIEW ÜBER ERSTE ERGEBNISSE

Stefan Kaufmann, Produktmanager bei Allplan und BIM-Experte, ist verantwortlich für den Bereich BIM-Strategie und für die Integration neuer Technologien. Im Interview erklärt er, wie der BIM-Stufenplan von der Baubranche aufgenommen wurde, was gut lief und wo noch Handlungsbedarf besteht.

Herr Kaufmann, wie wurde der BIM-Stufenplan 2015 von der Baubranche aufgenommen – und wie steht die Branche heute dazu?

Der BIM-Stufenplan war die Reaktion auf die Ergebnisse der Reformkommission Bau von Großprojekten in Deutschland. Die Erwartungshaltung an BIM war aus Auftraggebersicht, dass eine durchgängige Digitalisierung dazu beiträgt, einen Wandel hin zu einer durch Partnerschaftlichkeit geprägten Baukultur zu schaffen. Gleichzeitig waren die BIM-Kompetenzen der Baubranche vor dem BIM-Stufenplan auch auf Auftragnehmerseite gering und es gab anfänglich eine große Skepsis bei vielen Branchenvertretern. BIM wurde vor allem aus Aufwandssicht diskutiert. Der BIM-Stufenplan hat ein generelles Bewusstsein für BIM als zentralen Aspekt der Digitalisierung geschaffen. Er hat den Unternehmen der Immobilienwirtschaft einen klaren Impuls gegeben, sich mit BIM zu beschäftigen und Chancen und Risiken zu erkennen. Heute sind die meisten Planer in der Umsetzungsphase. Sie schulen Mitarbeiter, kaufen Software, machen Pilotprojekte und beschäftigen sich mit Datenaustausch, wirtschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen. Im Vordergrund stehen heute stärker die Nutzenaspekte von BIM. Dafür hat der Stufenplan die Grundlagen geschaffen.

Die Branche ist heute ein gutes Stück weiter in allen Bereichen rund um das Thema BIM. Mittlerweile wird das Thema sehr positiv aufgenommen.

Zeitlicher Ablauf des BIM-Stufenplans

1. Stufe 2015 – 2017: Vorbereitungsphase

  • Vorbereitungsphase
  • Durchführung von Pilotprojekten
  • Standardisierungsmaßnahmen
  • Aus- und Weiterbildung
  • Klärung rechtlicher Fragen
  • Entwicklung von BIM-Leitfäden

 

2. Stufe 2017 – 2020: Erweiterte Pilotphase (Niveau I)

  • Erweiterte Pilotphase
  • Systematisch steigende Zahl von Verkehrsinfrastrukturprojekten mit den BIM-Anforderungen

 

3. Stufe: BIM für neu zu planende Projekte

  • BIM findet regelmäßig Anwendung im Vekrehrsinfrastrukturbau
  • BIM als Standard etabliert

Es gibt Unternehmen, die sich durch den Stufenplan der BIM-Methode nicht entziehen können, weil sie die Aufträge brauchen. Fühlten sich diese Unternehmen 2015 unter Zugzwang? Und wie stehen die Unternehmen heute dazu?

Anfänglich gab es sowohl Unterstützung als auch Ablehnung für den BIM-Stufenplan. Manche Unternehmen äußerten sich etwa folgendermaßen: BIM ist eine gute Idee, das sollten wir auf jeden Fall mitmachen. Die digitale Transformation ist ein wichtiges Thema für das gesamte Land, und je besser wir abgestimmt und koordiniert sind, desto besser ist es auch für jedes einzelne Unternehmen.

 

Doch es gab auch andere Stimmen, die eher gebremst haben und ihre Bedenken stärker als die Chancen nach vorne gestellt haben: Schaffen wir das überhaupt? Können wir in so kurzer Zeit die Planungsprozesse beispielsweise in einem Planungsbüro komplett umstellen? Sind auch kleinere Planungsbüros in der Lage, BIM umzusetzen? Oder verlieren diese womöglich an Wettbewerbsfähigkeit?

Und wie reagierten größere Büros auf BIM?

Größere Unternehmen, die sich eine eigene Digitalisierungsabteilung leisten können, hatten auch Bedenken: Reichen die rechtlichen Rahmenbedingungen aus, um die geplante höhere Stufe der Zusammenarbeit umsetzen zu können? Oder laufen wir Gefahr, dass Bauwerksentwürfe kopiert und weiterverwendet werden?

 

Ganz allgemein beschäftigte Unternehmen der Baubranche die Frage nach der Wirtschaftlichkeit: Wie viel Zeit und Geld stecken wir als Unternehmen in den neuen BIM-Prozess, und was bekommen wir am Schluss wirklich wieder zurück? Und wer hilft dabei, die Initial-Investitionen in die digitale Transformation stemmen zu können?

 

Heute bin ich mir sicher, dass es eine sehr wichtige Initiative war und dass sie auch zum richtigen Zeitpunkt gekommen ist. Denn die öffentliche Hand ist der größte Auftraggeber im Bauwesen, vor allem natürlich in der Verkehrsinfrastruktur, aber auch im Hochbau. Und die Digitalisierung ist eine technologische Entwicklung, die wir nicht aufzuhalten, aber steuern können.

 

Ich glaube, der BIM-Stufenplan war ein Weckruf an alle, sich mit dem Thema so eingehend zu beschäftigen, dass die vielschichtige und vielfältige Baukultur, wie wir sie in Deutschland haben, dadurch auch ein Stück weit geschützt wird.

Wie liefen die Referenzprojekte im BIM-Stufenplan? Lief alles rund oder hakte es sehr? Sind die “Kinderkrankheiten” überwunden?

Im Rückblick hakte es im Grunde an fast allen Ecken. Es gab weder die vertraglichen Rahmenbedingungen noch den heute üblichen gemeinsamen Wortschatz. Heute wissen wir, was wir meinen, wenn wir etwa über den BIM-Abwicklungsplan sprechen, heute ist es für alle Beteiligte normal. Anfänglich war das eben nicht so.

 

Die Plattformen für die BIM-basierte Zusammenarbeit waren auch einfach noch nicht so stark und performant wie heute. In vielen Bereichen gab es keine Software und keine etablierten Standards.

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Unternehmen, die vor drei, vier Jahren anfingen, sich mit der BIM-Methode zu beschäftigen, haben heute einen Vorsprung, weil sie die Probleme besser kennen und lösen können.

Wenn es bei den Referenzprojekten zu Problemen kam, welche allgemeinen Schlussfolgerungen konnte man daraus ziehen? Hat sich daran bis heute etwas gebessert, haben alle ihre Hausaufgaben gemacht?

Anfänglich lagen die Probleme weniger in der Software, sondern vor allem an der fehlenden BIM-Qualifikation der Auftraggeber und -nehmer. Es ist auch heute noch nicht jedes einzelne Problem gelöst, doch der BIM-Stufenplan hat unter anderem bewirkt, dass auch die Bausoftware-Hersteller damals neue Werkzeuge geschaffen haben, die heute hoch professionell, automatisch und hoch integriert arbeiten. Mit simulationsintegrierten Planungswerkzeugen können Unternehmen Infrastruktur deutlich einfacher, schneller und besser planen.

 

Auch das Thema Qualifikation ist im Fluss. Wir haben heute im Gegensatz zu damals standardisierte Qualifikations- und Zertifizierungsangebote, die natürlich massiv dabei helfen, eine flächendeckende BIM-Kompetenz der Baubranche zu erreichen.

Ist die Digitalisierung dadurch vorangekommen? Kann der Stufenplan als Meilenstein oder Initialzündung angesehen werden? Oder wird nur das Nötigste umgesetzt, um bei den Vergaben dabei zu sein?

Aus meiner Sicht ist Deutschland ganzheitlich auf einem sehr guten Weg. An praktisch allen Hochschulen finden heute BIM-Lehrveranstaltungen statt. Das Thema wird heute überall auf einem ganz anderen Niveau gelehrt und diskutiert als noch vor fünf Jahren. Ich sehe auch die Widerstände schmelzen.

Dass im Bauwesen die Digitalisierung und die digitale Transformation das treibende Thema der nächsten zehn bis 20 Jahre ist, das ist heute angekommen und wird nicht mehr infrage gestellt.

Ich denke, der BIM-Stufenplan war ein so starkes Signal an den Markt. Jetzt müssen wir den Markt nachziehen lassen, damit Unternehmen die Vorteile für sich umsetzen können.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Tempo der Umsetzung?

Ich hatte zunächst gedacht, dass alles viel schneller gehen wird. Heute glaube ich, dass es gar nicht schneller gehen muss. Denn Unternehmen benötigen Zeit, um Expertise aufzubauen und neue digitale Prozesse zu entwickeln und umzusetzen. Bei BIM muss sich eine ganze Branche in ein neues Thema einarbeiten. Das dauert einfach, aber es ist wichtig, dass es jetzt begonnen hat.

Wurde der Bauwerkslebenszyklus ausreichend berücksichtigt? Oder wurde Potenzial zur Etablierung von BIM verschenkt, indem der Fokus vor allem auf die Planung gesetzt wurde und nicht mehr auf die Ausführung?

Bei der Konzeption des BIM-Stufenplans war immer klar, dass die Stufe 2 nicht die letzte Stufe sein wird. Einen digitalen Transformationsprozess zu beginnen, ergibt für die Bauwirtschaft nur Sinn, wenn man den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerkes berücksichtigt. Doch irgendwo muss man starten – am besten dort, wo auch die Projekte starten: bei der Planung.

 

Dies wird sich nun dynamisch weiterentwickeln. In der Bauausführung und beim Bauwerksbetrieb wird es neue BIM-Anwendungsfälle geben. Diese entwickeln sich jetzt nach und nach. Und auch in der Planungsphase gibt es noch Beteiligte, die nicht BIM-basiert arbeiten, zum Beispiel die meisten Genehmigungsbehörden.

Wie verhält es sich mit den privaten Auftraggebern und BIM-Mandanten? Hat der private Bausektor der BIM-Anwendung vielleicht mehr Schub verliehen als der öffentliche?

Die Verbreitung von BIM steigt enorm. Wir sehen aktuell Steigerungsraten von 10 bis 15 Prozent pro Jahr bei der Anzahl der Projekte, in denen BIM ganzheitlich als Planungsmethode eingesetzt wird. Aber ich würde momentan nicht davon ausgehen, dass mehr als zehn Prozent der Bauvorhaben mit BIM umgesetzt werden. Es ist immer noch ein kleines Thema im Markt – aber ein schnell wachsendes.

Hat die Coronapandemie die Digitalisierung in der Branche in einem Jahr schneller vorangetrieben, als es das Bundesministerium mit dem Stufenplan in fünf Jahren geschafft hat?

Corona hat bewirkt, dass viele Unternehmen, die vorher nicht in der Cloud waren, heute cloudbasiert arbeiten. Diese haben nun die Möglichkeit, ihre Planungsdaten zentral auszutauschen und zu koordinieren. Wir sehen, dass Planer dies heute deutlich stärker nutzen als noch vor zwei Jahren. So kann einfacher zusammengearbeitet werden, wenn Mitarbeitende vom Homeoffice aus arbeiten. Das geht eben nur dann, wenn sie aktuellen Zugriff auf die relevanten Daten haben. Dafür müssen die Daten in irgendeiner Form auf einem zentralen, für sie erreichbaren Server liegen. Durch die Pandemie hat es hier einen deutlichen Schub gegeben.

 

Das digitale Arbeiten betrifft auch beispielsweise das Thema Fortbildungen. Darüber haben wir während Corona viel gelernt. Unternehmen wissen nun: Mitarbeitende müssen nicht mehr weit reisen, um an einer Konferenz teilzunehmen. Heute findet das an einem ganz normalen Arbeitstag statt: Sie nehmen sich einfach zwei Stunden raus und bringen sich in dieser Zeit auf einen neuen Wissensstand.

Gibt es Feedback von Kunden, die noch mit Problemen kämpfen oder bei denen jetzt alles besser läuft?

Es wird noch Jahre dauern, bis in der sehr komplexen Immobilienwirtschaft mit seinen vielschichtigen Wertschöpfungsketten alle Probleme beim Einsatz von BIM-Modellen durchgängig gelöst sein werden. Trotzdem bekommen wir von unseren BIM-Kunden sehr positives Feedback beim Einsatz in der Planung. Durch die modellbasierte Zusammenarbeit werden Kommunikationsprozesse nicht nur besser strukturiert, sondern es ergeben sich auch neue Chancen schneller und effizienter zu arbeiten. Und natürlich schätzen alle Planer die verbesserte Kommunikation mit dem Bauherrn, der das Modell einfacher versteht und kompetenter mitentscheidet

Fazit: Der BIM-Stufenplan war ein wichtiger Impuls für eine bessere Digitalisierung in der Baubranche

Der BIM-Stufenplan ist in Deutschland der zentrale Meilenstein und Impuls für eine nachhaltige digitale Transformation der Baubranche und war ein Weckruf für alle Unternehmen der Immobilienwirtschaft. BIM-Deutschland führt die Aktivitäten des BIM-Stufenplanes heute fort und gewährleistet ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen im Infrastruktur- und Hochbau.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kaufmann!

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