Die grüne Sanierungswelle – neue Chancen nicht nur fürs Klima

Eva Marion Beck

Im Klimaschutzprogramm 2030 ist der Gebäudesektor ein wichtiger Aspekt, denn Sanieren und moderne Haustechnik würden enorm viel CO2 einsparen. Ein neues Aktionsbündnis aus Architekten, Bau-Experten und Umweltschützern fordert daher in einem aktuellen Positionspapier den sofortigen Start einer Sanierungswelle für Bestandsgebäude in Deutschland. Ansonsten seien die Klimaziele nicht mehr zu schaffen. Fast zeitgleich hat die Bundesregierung die Fördertöpfe für die energetische Sanierung noch einmal kräftig gefüllt. Damit kommt auf Bau- und Handwerksbetriebe viel Arbeit zu – und interessante neue Chancen.

Mit einem Konjunkturpaket hatte die Bundesregierung im Juni 2020 bereits zahlreiche Maßnahmen beschlossen, um die Erreichung der Klimaschutzziele voranzutreiben. Anfang 2021 wurden das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und das Marktanreizprogramm (MAP) für erneuerbare Energien dann noch einmal um rund 2,2 Mrd. € aufgestockt. Zum 1.7. werden die beiden Programme in der neuen „Bundesförderung für effiziente Gebäude“ (BEG)“ zusammengeführt. Bis 2023 fließen dort dann jährlich rund 3,6 Milliarden Euro hinein.

 

Ganz oben auf der To-do-Liste des Klimaschutzprogramms 2030 steht: Fassaden und Dächer dämmen, Wärmepumpen und Biomasseanlagen einbauen, Solar- und Photovoltaik-Anlagen installieren – und viele Ölheizungen austauschen. Insgesamt sind bis zu 45 Prozent Förderung der Investitionskosten möglich (maximal 50.000 Euro).

© ESYS/BDI/dena

© ESYS/BDI/dena

Energieberatung boomt

Auf die Bauindustrie rollt damit eine grüne Sanierungswelle zu, denn die Aufstockung der Förderungen wirkt jetzt schon als Supermotivator für Bauherren. Das bedeutet beste Umsatzchancen besonders für Handwerker, die bei Sanierungsmaßnahmen einen „grünen Daumen“ zeigen. Energetische Kompetenz belegen sie zum Beispiel mit der Weiterbildung zum „Gebäudeenergieberater“ (HWK), die zum Eintrag auf der „Energie-Effizienz-Expertenliste“ der Deutschen Energieagentur (dena) berechtigt. Diese Qualifikation – zu ihr haben Handwerksmeister, Techniker, Architekten und Ingenieure Zugang – ist jetzt umso interessanter, als die Beratung durch einen gelisteten Energie-Effizienz-Experten neuerdings von der BAFA in Höhe von nahezu 80 Prozent gefördert wird. Das nennt sich „Energieberatung für Wohngebäude (Vor-Ort-Beratung, individueller Sanierungsfahrplan)“.

 

Der individuelle Sanierungsfahrplan (iSFP) stellt entweder die Gesamtsanierung zu einem KfW-Effizienzhaus dar oder zeigt auf, wie das Gebäude Schritt für Schritt über einen längeren Zeitraum umfassend energetisch saniert und der Primärenergiebedarf so weit wie möglich gesenkt werden kann. Interessanterweise darf der Handwerksmeister, der den iSFP aufstellt, mit seinem Betrieb auch die entsprechenden Baumaßnahmen durchführen.

Doppelte Chance – doppelte Herausforderung

Das klingt nach guten Zusatzgeschäften über eine „grüne“ Beratungsfunktion, die Handwerksbetriebe ja eh schon in weniger aufwändigem Maße kostenlos durchführen müssen.

 

Aber so einfach scheint es dann doch nicht zu sein. Tomas Titz ist Vorsitzender des GIH in Niedersachsen („Gebäudeenergieberater Ingenieure Handwerker e.V.“), der bundesweiten Interessenvertretung für Energieberater. Er warnt, gerade kleinere Betriebe könnten in der Doppelrolle des Beratenden und Ausführenden schnell an ihre Grenzen kommen.

 

„Allein für die sogenannte Umsetzungshilfe des individuellen Sanierungsfahrplans, in der die einzelnen Sanierungsschritte für den Bauherrn ausgeführt werden, braucht man locker zwei ganze Arbeitstage“, erläutert Titz. „Überhaupt ist der gesamte Prozess, von der Aufnahme über die Berechnung, Vorstellung, Beantragung der Fördermittel und Ausführung, so komplex geworden, dass man in vielen Fällen sagen muss: Es ist schwer, zwei Herren zu dienen.“

Erste serielle Sanierung in Hameln

Neue Umsatzchancen für Bauunternehmen verspricht auch eine Variante der energetischen Sanierung, die die niederländische Marktentwicklungsinitiative energiesprong entwickelt hat: die serielle Sanierung von Mehrfamilienhäusern. Durch Standardisierung sowie Vorfertigung von Fassaden, Dachelementen und Haustechnik kann die besonders sozialverträglich und zeiteffizient erfolgen. „In Europa müssen pro Jahr vier Millionen Wohnungen aufgrund anstehender Wartungs- oder Modernisierungsarbeiten saniert werden. Für einen großen Teil dieses Bestands ist das Konzept eine Lösung“, so Gründungsdirektor Jasper van den Munckhof. Hier ist man mit der Entwicklung der seriellen Sanierung schon relativ weit: Während die Sanierungskosten bei den ersten Einfamilienhäusern in den Niederlanden noch bei 100.000 Euro pro Haus lagen, ist der Betrag durch die hinzugewonnene Erfahrung inzwischen auf 65.000 Euro gesunken. Als Richtwert für die Bauarbeiten am Gebäude gelten inzwischen nur noch zwei Wochen.

 

Die Energiesprong Deutschland-Initiative wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) unterstützt und von der dena koordiniert. Im März wurde die erste serielle Sanierung in Hameln fertiggestellt – ein Wohnblock aus den 1930er Jahren mit zwölf Wohnungen. Für die Umsetzung war das Startup ecoworks verantwortlich, ein Fertigbauunternehmen aus Brandenburg fertigte die Dach- und Fassadenelemente vor. In letztere waren Fenster, dezentrale Lüftungselemente mit Wärmerückgewinnung, Stromkabel und ein umfassendes Dämmpaket aus Recycling-Glaswolle bereits integriert. Das fertige Gebäude erfüllt den KfW55-Standard. 500 Sensoren steuern die Wärmepumpe und die Lüftung mit Wärmerückgewinnung, zudem erzeugt eine Photovoltaikanlage so viel Energie, wie Heizung, Warmwasser und Strom benötigen.

Serielle Sanierung in Hameln © ecoworks

Serielle Sanierung in Hameln © ecoworks

Bauunternehmen, Hersteller, Schrittmacher gesucht

Die serielle Sanierung soll in Zukunft auch in Deutschland Klimaschutz, bezahlbares Wohnen und zügige Umsetzung verbinden. „Ineffiziente, baufällige Gebäude können ohne Störung der MieterInnen innerhalb weniger Wochen klimaneutral saniert werden,“ so Emanuel Heisenberg, einer der Gründer von ecoworks. Der aktuelle Fokus in Deutschland liegt auf kleineren Mehrfamilienhäusern der 50er bis 70er Jahre mit einfacher Hülle, bis zu vier Etagen und einem Energieverbrauch von über 130 kWh/m2a. Allein hier schätzt die dena das Marktvolumen auf etwa 500.000 Gebäude. Es gibt also viel anzupacken – auch, was die Anwendung des Konzepts auf komplexere Gebäude angeht. Hier gestaltet sich die Umsetzung noch nicht ganz reibungslos.

 

„Wir müssen die serielle Sanierung in den nächsten Jahren noch deutlich weiterentwickeln“, so Heisenberg. Um die anstehenden Herausforderungen zu stemmen, werden innovationsfreudige Bauunternehmen, Start-ups und Hersteller gesucht, die den Markt mit vorantreiben. Auf der Webseite von energiesprong Deutschland klingt das so: „Sie wollen Gesamtlösungen oder vorgefertigte Fassaden-, Dachelemente oder Energiemodule für serielle Energiesprong-Sanierungen entwickeln? Wir unterstützen Sie, Know-how und Strukturen aufzubauen sowie Partner und erste Piloten zu finden.“ Das Versprechen der Deutschen Energieagentur, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW): „Es entsteht ein Markt, der für alle Seiten profitabel ist und ein großes Wachstumspotenzial bietet.“

Weiterführende Informationen:

  • Portal der dena: Infos über die neuesten Bestimmungen für Energieberater und solche, die es werden wollen, über die Weiterbildung und Voraussetzungen für eine Registrierung als Experte.
  • Neutrales Informationsportal über energetische Gebäudesanierung für Kommunen und Unternehmen.
  • Informationen für Bauunternehmen, Hersteller und Start-ups, die sich für den Bereich der seriellen Sanierung interessieren. Anbieterplattform für Hersteller von Energiemodulen, Lüftungslösungen, Fassadenelementen etc.

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Bildnachweis: Have a nice day Photo/Shutterstock.com; ESYS/BDI/dena; ecoworks