Baustoffpreise explodieren: Was tun gegen die rasante Preisentwicklung 2022 für Baumaterial?

Eva Marion Beck

Nach Corona jetzt der Ukraine-Konflikt: Erneut kommt es 2022 zu einer rasanten Preisentwicklung für Baumaterial. Material kommt nicht mehr auf den Baustellen an, Lieferzusagen bleiben aus, die Baustoffpreise steigen rapide. Und die Mehrkosten können nicht immer an die Auftraggeber weitergegeben werden. Hoffnung macht ein neuer Erlass der deutschen Bundesregierung, der die Anpassung bestehender Verträge ermöglicht und der auch Vorbildfunktion in Österreich haben könnte.

Ukraine-Krieg lässt Baustoffpreise steigen

Schon 2021 hatte die Baubranche pandemiebedingt mit Baustoffmangel und volatilen Baustoffpreisen zu kämpfen. Dennoch konnte die Bauwirtschaft Corona die Stirn bieten und erwies sich als recht krisenresistent – wir hatten darüber in unserem Jahresrückblick berichtet. Doch angesichts der aktuellen Umwälzungen auf den globalen Rohstoffmärkten infolge des Ukraine-Konflikts sieht sich die Branche nun wirklich in der Bredouille. Die Sanktionen gegen Russland sorgen dafür, dass wichtige Baumaterialien wie Stahl, Bitumen und Aluminium teuerer oder gar nicht mehr erhältlich sind. Die Preisentwicklung für Baumaterial 2022 ist – anders als zuvor angenommen – weiter rasant.

Hintergrund zur Preisentwicklung bei Baumaterial 2022

Rund 30 Prozent des Baustahls kommen aus Russland, der Ukraine und Weißrussland. Hinzu kommt der hohe Anteil von Roheisen aus diesen Ländern (40 Prozent) und diverser weiterer Rohstoffe, die für die Stahllegierung notwendig sind. Auch rund 30 Prozent des Bitumens wird aus Russland geliefert, was entsprechende Auswirkungen auf den deutschen Straßenbau hat.

(Quelle: Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz)

Preissteigerungen von Baustoffen erfordert schnelles Handeln

Selbst Schrauben oder Nägel kämen nicht mehr auf den Baustellen an, klagte kürzlich Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB). Bauunternehmen sollten sich jetzt schon die Frage stellen, welche Projekte pausieren müssten und welche man aufgrund der hohen Baustoffpreise besser gar nicht erst beginnen sollte. Von den Baubetrieben werde berichtet, dass sie nach Anfragen nur noch tagesaktuelle Preise bekämen. „Teilweise werden Preise nur im Stundenrhythmus garantiert. Angebote wie bisher seriös zu kalkulieren und abzugeben, ist damit unmöglich.“

 

Diesen Sachverhalt beklagte auch Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Er forderte einen runden Tisch mit der Bundesregierung, um Angebote auf öffentliche Bauausschreibungen wieder zu ermöglichen und rechtlich abzusichern. Es werde dringend eine andere Form der vertraglichen Zusammenarbeit gebraucht. Nur so könne verhindert werden, dass in laufenden Verträgen Unternehmen auf Mehrkosten sitzenblieben, die sie in die Zahlungsunfähigkeit treiben könnten.

Erlass ermöglicht Vertragsanpassungen bei veränderten Baustoffpreisen

Bundesbauministerin Klara Geywitz und Bundesverkehrsminister Volker Wissing reagierten erstaunlich schnell mit einem Erlass, der Preisgleitklauseln bei Bauleistungen für den Bund seit dem 25. März als verpflichtend erklärt. Mit ihm sollen die sprunghaften Preissteigerungen für Baustoffe in Folge des Ukraine-Kriegs gerechter zwischen Auftragnehmer und öffentlichem Auftraggeber aufgeteilt werden können. Auch in bestehenden Verträgen sollen die Preise „im Einzelfall“ nachträglich angepasst werden können. Keine Relevanz hat der Bundeserlass, der zunächst bis zum 30. Juni gilt, für Bauverträge mit privaten Bauherren.

 

Felix Pakleppa zeigte sich erfreut über die Neuerung, vor allem über die Verkürzung des Mindestabstands zwischen Angebotsabgabe und Einbau von sechs auf einen Monat. Dadurch könnten auch viele kurzlaufende Bauverträge in die Preisgleitung einbezogen werden. „Jetzt sind Länder und Kommunen aufgefordert, den Erlass in gleicher Weise zu übernehmen.“

Kein Festhalten am Vertragsabschluss, wenn Baustoffpreise explodieren

Dies ist bisher nicht geschehen. Allerdings sind Bieterfirmen bei Bauverträgen der Preisentwicklung für Baumaterial nicht ganz ausgeliefert. Ist einer Vergabestelle bekannt, dass ein Bieter beim Abschluss eines Vertrages schwere Verluste erleiden würde, darf sie ihn nicht zum Abschluss zwingen. Die VOB/A regelt, dass der Bieter den Auftraggeber vor dem Zuschlag darauf hinweisen muss, wenn sein Angebotspreis nicht mehr auskömmlich, also der aktuellen Situation nicht mehr angemessen ist. Das kann bei einer Bindefrist von 60 Tagen der Fall sein, wenn er sein Angebot Anfang Februar 2022 kalkuliert und abgegeben hat. Der Auftraggeber hat daraufhin die Auskömmlichkeit des Angebotspreises nochmals zu prüfen und darf den Zuschlag nicht erteilen, wenn sich die Nicht-Auskömmlichkeit bestätigt.

 

In so einem Fall sollte die Vergabestelle, das Verfahren zurückversetzen und Preisanpassungsmöglichkeiten, eventuell auch flexiböere Termine in die Ausschreibung aufnehmen“, so Prof. Dr. Leinemann, Fachanwalt für Vergaberecht. Er rät in einem Interview für vergabeblog.de zu einer Preisanpassung nach § 650c BGB, da die Preisgleitklauseln der Vergabehandbücher des Bundes extreme Preissprünge nicht angemessen abbilden würden.

Preissteigerung von Baustoffen: Ähnliche Notlage in Österreich

Auch die Bauindustrie in Österreich fordert jetzt in einer Resolution Maßnahmen gegen die dramatischen Entwicklungen aufgrund von Kostendruck und Lieferengpässen. Bei den zu Festpreisen abgeschlossenen Bauverträgen müsse die durch höhere Gewalt ausgelöste Krisensituation zu einer Vertragsanpassung auf Basis einer indexbasierten Vergütung führen. Im Falle von Lieferengpässen sollten die vereinbarten Fertigstellungstermine entsprechend angepasst werden können.

 

Martin Schiefer, Fachanwalt für Vergaberecht, rät in einem Fachartikel für das Baumagazin a3Bau zum Check bestehender Verträge in folgenden Schritten, um sich bei Bauunterbrechungen oder Störungen in der Lieferkette zu schützen:

 

  1. Kontakt zum Vertragspartner aufnehmen, um gemeinsam eine Lösung zu finden.
  2. Die Kontaktaufnahme unbedingt dokumentieren.
  3. Vertrag auf anwendbares Recht und auf höhere Gewalt prüfen.
  4. Klauseln analysieren, ob und wie sie zum Tragen kommen.
  5. Ableitung der Rechtsfolge und damit Aussetzung der Leistung oder Kündigungsmöglichkeit.

Preisentwicklung 2022 bei Baumaterial: Unklare Rechtslage erschwert die Situation

In jedem Fall sollten die Vertragspartner sich so schnell wie möglich über jegliche Leistungshindernisse informieren. Allgemein sind sich die Experten in Österreich einig, dass man trotz möglicher Lösungsansätze Vertragspartner derzeit nur ermutigen könne, außergerichtliche Lösungen zu suchen. Die Beschreitung des Gerichtswegs sei mit enormen rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken für beide Seiten verbunden, da die Rechtslage noch zu vage sei. Bleibt zu hoffen, dass die entsprechenden rechtlichen Anpassungen und Klauseln mit Blick nach Deutschland noch im April rechtskonform auf den Weg gebracht werden können.

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