BIM-Stufenplan: Was hat er wirklich gebracht?

Interview mit Paul Pietsch, Consultant bei NEVARIS, über den BIM-Stufenplan und die Auswirkungen auf Bauunternehmen

Wie wurde der BIM-Stufenplan 2015 von der Baubranche aufgenommen – und wie steht die Branche heute dazu?

Paul Pietsch: Anfänglich tat sich die Baubranche schwer, sich dem BIM-Stufenplan anzunehmen, da sie von Normen und Richtlinien lebt. Heutzutage allerdings öffnet sich die Baubranche zunehmend neuen Arbeitsmethoden, insbesondere BIM. Der Stufenplan definiert die übergeordnete Einführung von BIM zum Leistungsniveau I, ohne die passenden Normen, Richtlinien und Prozessstandards im Detail zu liefern.

Die Baubranche öffnet sich zunehmend neuen Arbeitsmethoden, insbesondere BIM.

Seit der Veröffentlichung hat sich hier aber einiges getan: Das DIN und der VDI haben mittlerweile vollumfängliche Normen vorgelegt. Grundsätzlich hat es Vorteile für die Qualität einer Norm, diese anhand der Praxis, sprich parallel zur Umsetzung des Stufenplans, zu entwickeln.

 

Die Baubranche tat sich am Anfang jedoch noch schwer, ein Change-Management ohne ausgereifte BIM-Standards zu betreiben, was unter anderem an ihrer eher konservativen Natur liegt. Seit der Veröffentlichung vom Stufenplan 2015 haben sich daher überwiegend diejenigen Unternehmen der Einführung von BIM gewidmet, die über entsprechende finanzielle und personelle Kapazitäten verfügen. Das waren vor allem die großen Unternehmen, da diese in Zeiten des Fachkräftemangels attraktivere Konditionen insbesondere für Spezialisten (BIM-Manager, -Koordinatoren) stellen und die Kosten zur Erprobung einer neuen Arbeitsweise stemmen konnten. Bei der Erprobung wird zumeist zweigleisig gefahren, ein Projekt wird also sowohl klassisch als auch mit der BIM-Methode umgesetzt.

Im Moment läuft die Baubranche auf Hochkonjunktur. Die Herausforderungen zur Abarbeitung der Aufträge liegen vor allem im Fachkräftemangel und nicht in der mangelnden Digitalisierung.

Kleinere und mittelständische Unternehmen zögern bei der Umsetzung des Stufenplans vor allem aufgrund der befürchteten hohen Kosten (Anschaffung Software, Einstellung von Spezialisten) und der mangelnden Fachkräfte. Im Moment läuft die Baubranche auf Hochkonjunktur. Die Herausforderungen zur Abarbeitung der Aufträge liegen vor allem im Fachkräftemangel und nicht in der mangelnden Digitalisierung. Gleichzeitig sind kleinere und mittelständische Unternehmen skeptisch gegenüber dem ökonomischen Mehrwert der BIM-Methode. Die BIM-Methode erfordert Einführungsaufwand, der für alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe, erst einmal gleich ist. Im Unterschied zu großen Unternehmen amortisiert sich der Aufwand bei den kleineren und mittelständischen Unternehmen nicht so schnell, was ein größeres Hemmnis für die Einführung der BIM-Methode darstellt.

 

Stand heute können zumeist nur die großen Bauunternehmen das Leistungsniveau I des Stufenplans erfüllen. Hintergrund ist vor allem der Mangel an verfügbaren Mitteln (Finanzierung und Arbeitskräfte), um die BIM-Arbeitsweise parallel zum laufenden Geschäft einzuführen. Nach und nach ziehen jedoch kleinere und mittelständische Unternehmen nach, besonders weil der Gesetzgeber die BIM-Methode vorgibt.

Es gibt Unternehmen, die sich durch den Stufenplan der BIM-Methode nicht entziehen können, weil sie die Aufträge brauchen. Fühlten sich diese Unternehmen 2015 unter Zugzwang? Und wie stehen die Unternehmen heute dazu?

Mit der Verpflichtung von zumindest öffentlichen Auftraggebern bei einem Bauprojekt BIM anzuwenden, entsteht ein Zwang, sich mit der BIM-Methode auseinanderzusetzen. Dies ist vor allem bei Straßen- und Tiefbauunternehmen der Fall, deren Aufträge überwiegend von der öffentlichen Hand kommen. Diejenigen Unternehmen, die in Normausschüssen engagiert sind, haben sich mit der Veröffentlichung des Stufenplans unter Zugzwang gesetzt gefühlt, da sie von der Verpflichtung wussten. Studien zeigen, dass auch heute noch viele kleinere und mittelständische Bauunternehmen wenig vom Stufenplan und der BIM-Methode wissen. Spätestens mit der Verpflichtung, die BIM-Methode bei öffentlichen Aufträgen ab einem bestimmten Projektvolumen anzuwenden, stehen nun alle Bauunternehmen unter Zugzwang.

Die Bauunternehmen, die sich seit der Veröffentlichung des Stufenplans der BIM-Methode gewidmet haben, haben einen riesigen Wissensvorsprung.

Die Bauunternehmen, die sich seit der Veröffentlichung des Stufenplans der BIM-Methode gewidmet haben, haben einen riesigen Wissensvorsprung. Die anfängliche Skepsis gegenüber der BIM-Methode scheint gänzlich überwunden. Das erkennt man unter anderem an der zunehmenden Präsenz der Thematik auf den Webseiten der Unternehmen und an der steigenden Anzahl von Job-Ausschreibungen, die sich auf BIM-Kompetenzen beziehen. Diese Bauunternehmen investieren in die BIM-Methode, da sie glauben, dass sie sich langfristig bewähren wird. Betrachtet man die Anzahl an Vereinen, Ausschüssen und Konferenzen mit BIM-Bezug und deren Teilnehmerzahlen, kann man davon ausgehen, dass das Interesse sowie die positive Einstellung der Bauindustrie zur BIM-Methode erheblich zugenommen haben. Es zeigt aber auch, dass bei einem Großteil der Unternehmen weiterhin ein massiver Wissensaustausch für die Überwindung der IT- und prozesstechnischen Herausforderungen notwendig ist.

Wie liefen die Referenzprojekte im BIM-Stufenplan? Lief alles rund oder hakte es sehr? Sind die “Kinderkrankheiten” überwunden?

Bei den Referenzprojekten offenbarte sich vor allem der Fachkräftemangel. 2015 gab es nur sehr wenige Fachkräfte mit ausgeprägter BIM-Kompetenz, um die vor allem die großen Bauunternehmen buhlten. Die BIM-Methode erfordert spezifische IT-Kenntnisse, wie die Anwendung von CAD und anderer BIM-fähiger Software, was der gewöhnliche Bauingenieur zu diesem Zeitpunkt in seiner Ausbildung nicht gelernt hat. Dadurch war die Umsetzung der Referenzprojekte vor allem von Einarbeitungszeiten in BIM-fähige Anwendungen und BIM-unterstützende Technologien geprägt.

 

Zudem machten fehlende oder nicht ausgereifte Formatstandards beim Austausch von Informationen zwischen Auftraggebern, Bauunternehmen und Nachunternehmern Probleme. Diese Herausforderungen bestehen nach wie vor, doch werden vor allem die Austauschformate (IFC und BCF) durch permanente Weiterentwicklung immer ausgereifter.

 

Auch ist die Handhabung großer Datenmengen noch eine Herausforderung. Der Austausch und die Verarbeitung von großen Datenmengen gelingen zwar über das Cloudcomputing, dieses stellt jedoch aufgrund der hohen Kosten besonders für kleinere und mittelständische Bauunternehmen einen hemmenden Faktor für die durchgängige BIM-Umsetzung dar. Gleichzeitig ist die Auswertung der großen Datenmengen, wie z.B. Punktwolken von Bestandsbauwerken, immer noch eine große Herausforderung. Mit Künstlicher Intelligenz sollen aber auch hier langfristig diese Schwellen überwunden werden.

Wenn es bei den Referenzprojekten zu Problemen kam, welche allgemeinen Schlussfolgerungen konnte man daraus ziehen? Hat sich daran bis heute etwas gebessert, haben alle ihre Hausaufgaben gemacht?

Die Referenzprojekte haben die grundlegenden Herausforderungen der BIM-Methode hervorragend aufzeigen können. Glücklicherweise hat sich insbesondere die Software-Industrie dahingehend schnell aufgestellt, unter anderem weil an vielen Stellen lediglich Adaptionen aus anderen Branchen nötig waren (z.B. CAD-Planung im Maschinenbau). Das Angebot an Softwarelösungen für die BIM-Methode hat stark zugenommen. Außerdem haben sich auch Ausbildungsstätten auf den digitalen Wandel der Baubranche eingestellt.

Die meisten Universitäten bieten mittlerweile neben den klassischen Bauingenieurfächern auch Module zur BIM-Methode in der Lehre an, welches mittelfristig den Fachkräftemangel in diesem Bereich eindämmen wird.

Schwierigkeiten in Deutschland macht nach wie vor die Netzabdeckung. Internet ist in Deutschland nicht in allen Regionen mit derselben Geschwindigkeit verfügbar und der Netzausbau geht nach wie vor nur schleppend voran. Besonders Linienbaustellen, die sich über weite Strecken übers Land ziehen, können daher aufgrund mangelnder Internetgeschwindigkeit bestimmte BIM-Methoden nicht vollumfänglich und effizient anwenden.

Ist die Digitalisierung durch den Stufenplan vorangekommen? Kann er als Meilenstein oder Initialzündung angesehen werden? Oder wird nur das Nötigste umgesetzt, um bei den Vergaben dabei zu sein?

Der Stufenplan war insbesondere für große Bauunternehmen eine Initialzündung zur Aneignung und Einführung der BIM-Methode. Vor allem die Bauunternehmen, die die Referenzprojekte durchgeführt haben, können sich auf einen enormen Wissensvorsprung stützen. Diese weisen nun auch einen deutlich höheren Digitalisierungsgrad auf als vor 10 Jahren. Die Baubranche in Deutschland unterliegt jedoch einer hohen Fragmentierung, d.h. der Anteil kleiner und mittelständischer Unternehmen ist sehr hoch. Diese Unternehmen beschäftigen sich aufgrund der zuvor erwähnten Herausforderungen deutlich weniger mit der Digitalisierung. Daher kann noch nicht von einer durchgängigen Erhöhung der Digitalisierung in der Baubranche durch den Stufenplan gesprochen werden. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen werden zunächst nur die nötigsten Voraussetzungen umsetzen können, um Aufträge zu erhalten.

Es ist davon auszugehen, dass eine Rezession vermutlich ein stärkerer Treiber der Digitalisierung der Baubranche wäre als die aktuelle Hochkonjunktur.

Abgesehen von den genannten Faktoren, ist ein weiterer hemmender Faktor die schon sehr lange anhaltende Hochkonjunktur. Auftraggeber tun sich auch so schon schwer Auftragnehmer zu finden. Die noch nicht in allen Unternehmen etablierte BIM-Methode wird die Auftragsvergabe unter Umständen unmöglich machen, wenn BIM vollständig verpflichtend wird. Umgekehrt könnte eine Rezession all jene Bauunternehmen aussortieren, die sich nicht der Digitalisierung gewidmet haben. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Rezession vermutlich ein stärkerer Treiber der Digitalisierung der Baubranche wäre als die aktuelle Hochkonjunktur.

Wurde der Bauwerkslebenszyklus ausreichend berücksichtigt? Oder ist Potenzial zur Etablierung von BIM verschenkt worden, indem der Fokus vor allem auf die Planung und nicht mehr auf die Ausführung gesetzt wurde?

In der BIM-Methode ist das 3D-Informationsmodell eines Bauwerkes das zentrale Werkzeug. Der „digitale Zwilling“ bildet möglichst exakt ein Bauvorhaben ab. Anhand des Detaillierungsgrades des Modells bemisst sich die weitere Nutzung für die Kosten- (4D) und Terminplanung (5D), die u.a. durch die Bauunternehmen erfolgt. Deshalb war es sinnvoll, den Stufenplan vor allem anhand der Bauplanung auszurichten, um die optimalen Bedingungen für die Bauausführenden zur Weiternutzung des BIM-Modells zu schaffen. Die Anwendungsfälle der BIM-Methode für die Bauausführenden haben sich aus den Möglichkeiten, die mit einem ausgereiften BIM-Modell entstehen, ergeben. Es zeigt sich auch heute noch, dass ein unausgereiftes BIM-Modell die Weiternutzung behindert bzw. einen zusätzlichen Aufwand für die Bauausführenden nach sich zieht. Im Stufenplan hätte man die Wichtigkeit des Reifegrades eines BIM-Modells für die Weiternutzung deutlicher hervorheben können, damit für die Planer der Mehraufwand der BIM-Methode nachvollziehbarer ist.

Hat die Corona-Pandemie die Digitalisierung in der Branche in einem Jahr schneller vorangetrieben, als es das Bundesministerium mit dem Stufenplan in fünf Jahren geschafft hat?

Die Digitalisierung im Allgemeinen wurde sicherlich durch die Pandemie vorangetrieben. Unternehmen haben mit der (zwangsweisen) Einführung von Home-Office die Möglichkeiten der Videokonferenz und Datenaustauschplattformen testen und deren Vorteile erfahren können. Ggf. sind dadurch die Hemmnisse, neue digitale Methoden auszuprobieren und einzuführen, gesunken.

 

Meiner Meinung nach wird die Corona-Pandemie auf die Etablierung der BIM-Methode jedoch keinen besonderen Einfluss haben, da die BIM-Methode weit mehr Prozesse als nur den Datenaustausch und die Kommunikation abbildet, wie z.B. Generierung von As-Built-Modellen mittels Drohnenbefliegung und Photogrammetrie. Diese Technologien müssen noch weiterentwickelt werden, so dass sie für den alltäglichen Gebrauch nutzbar sind.

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