Digitalisierung in der Baubranche – ein Leitfaden

DIE FRAGE NACH DER DIGITALISIERUNG IN DER BAUBRANCHE BEGINNT SCHON LANGE MIT DEM „WIE“ UND „WO“ STATT MIT „OB“

Stellen Sie sich vor, Sie haben 25 Jahre abseits der Zivilisation gelebt. Nun kommen Sie zurück und möchten den technologischen Fortschritt seit dem Jahr 2000 in der Wirtschaft sehen. Viele Industrien haben sich stark verändert. Das Internet of Things hat für automatisierte Fertigungshallen gesorgt. Kommen Sie jedoch in ein mittelständisches Bauunternehmen, ist vieles unverändert. Bauunternehmer pflegen lange Traditionen und gewachsene Strukturen: „Es läuft doch alles, warum digitalisieren?“ Doch gerade wenn’s gut läuft, sollten Sie anpacken – sonst ist es irgendwann zu spät. Wie Sie damit anfangen, lesen Sie in unserem Leitfaden.

Schritt 1: Verinnerlichen Sie, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist

Sie finden, das klingt selbstverständlich? Es ist dennoch wichtig, sich die Ziele der Digitalisierung deutlich vor Augen zu führen. Kein Unternehmen sollte digitalisieren, weil analoge Lösungen nicht den eigenen Geschmack treffen. Oder weil Digitales gerade im Trend ist. Die Digitalisierung bestimmter Prozesse muss die eigene Effizienz steigern, mit der Sie und Ihre Mitarbeiter arbeiten. Sie muss strategisch sein oder Berufsbilder rund um die Baustelle aufwerten. Aktuell hat nur ein kleiner Teil der Bauunternehmen die Digitalisierung in ihrer Geschäftsstrategie verankert. Bauunternehmen liegen mit der Digitalisierung hinter anderen Branchen deutlich zurück. Oft geht es dabei um Kennzahlen oder darum, digitale Planungsdaten für die Baustelle nutzbar zu machen. Nach einem erfolgreichen Schritt der digitalen Transformation sollten diese Zahlen automatisiert vorliegen oder zumindest einfach zu extrahieren und zu nutzen sein.

„Never change a running system“ oder „Läuft doch!“ sind die häufigsten Stopper der strategischen Digitalisierung.

Das Problem an diesen Sprüchen ist, dass wir hier über ein Bauunternehmen sprechen und nicht über eine Modelleisenbahn. Bei Letzterer sehen Sie direkt, wenn etwas nicht mehr läuft. In einem Unternehmen gilt es gerade dafür zu sorgen, dass dieser Fall gar nicht erst eintritt. Ansonsten werden langsame Prozesse jeden Monat mehr Zeit und Geld kosten als nötig und die Konkurrenz kann aus dem Windschatten überholen.

Schritt 2: Seien Sie darauf gefasst, dass Digitalisierung in der Baubranche Chefsache ist

Digitale Transformation hat weitreichende Auswirkungen und ist nicht rein operativ, sondern ein dauerhafter strategischer Prozess. Deswegen braucht es jemanden, der Verantwortung übernimmt. Einige Konzerne haben dafür einen CDO (Chief Digital Officer), die meisten aber nicht. In der Baubranche haben wir den Vorteil, dass Entscheider meist nicht fachfremd, sondern häufig selbst Bauingenieure sind. Sie haben ein Gespür für die Prozesse und können – genug Kapazitäten vorausgesetzt – die digitale Transformation selbst begleiten.

 

Entscheider sollten deshalb selbst zu Kongressen und zu Start-Up-Messen gehen, Start-Up-Softwarelösungen und Technologien analysieren und mit Softwareherstellern sprechen. Schauen Sie sich Webinare an und sprechen Sie mit dem Bauunternehmen in der Nachbarschaft. Halten Sie die Augen und Ohren für die nachwachsenden Generationen offen. Wenn Ihre Kinder oder Enkel mit elektronischen Geräten oder Apps um die Ecke kommen, dann brauchen Sie nicht nur die Fähigkeit, TikTok kritisch zu bewerten, sondern sollten sich auch fragen: Gibt es da vielleicht Dinge, die mir in meinem Alltag helfen können? Welche Probleme können diese Technologien möglicherweise lösen? Sie gewinnen viel, wenn Sie flexibel und mehrdimensional denken.

Schritt 3: Machen Sie eine Bestands- und Potenzialanalyse

Statt zunächst eine gründliche Bestandsanalyse durchzuführen, verfallen Entscheider oft in ziellosen Aktionismus. Voller Leidenschaft führen sie eine App ein, die im schlimmsten Fall auf dem Bau noch Mehrarbeit erzeugt oder für Verwirrung sorgt. Stattdessen sollten Sie in Ruhe schauen, wie es im Unternehmen und auf dem Bau aussieht. Fragen Sie sich systematisch diese Dinge:

 

  • Wo gibt es analoge Prozesse, die digital besser funktionieren könnten?
  • Wo verlieren wir systembedingt Zeit?
  • Wo sind die Wege zu lang?
  • Können wir die Baustellen-Logistik mit besserer Datenversorgung verbessern?
  • Welche Daten möchten wir nutzen, wo könnten wir Daten abgreifen und was könnten wir damit anfangen?
  • Wie können wir die Kosten für Lagerung und Transport senken?
  • Gibt es bereits digitalisierte Prozesse, auf die wir aufbauen können?
  • Wo gibt es Insellösungen, die wir aus der Isolation lösen können?

Laut einer Studie verbringt ein Bauarbeiter 70 Prozent seiner Arbeitszeit nicht mit seinen Kernaufgaben, sondern „auf Wegen und mit Transportarbeiten, mit Auf- und Umräumarbeiten sowie auf der Suche nach Materialien oder Geräten“.

Schritt 4: Schauen Sie, was schon digitalisiert ist und wo Sie andocken können

Bevor Sie bereits digitalisierte Prozesse neu angehen und neue Lösungen integrieren, schauen Sie sich an, was im direkten Umfeld des digitalisierten Prozesses noch digitalisierbar ist. Was passiert vorher und nachher? Wo können Sie weitere Effizienzvorsprünge generieren, indem Sie an bestehende digitale Prozesse andocken? Dabei ist es wichtig, dass Sie analoge Prozesse vorher evaluieren und bewerten. Nur so können Sie dann nachweisbar eine Lösung finden, die hinterher mehr leistet als nur einen kleinen digitalen Teilprozess. Denn: In einer idealen Welt greifen alle Bau-Prozesse ineinander. Ein Beispiel ist die Stundenerfassung auf dem Zettel – das muss im 21. Jahrhundert nicht mehr sein. Wenn Sie hier eine digitale Lösung gefunden haben, schauen Sie sich an, ob es Prozesse rund ums Personal auf der Baustelle gibt, die besser laufen könnten.

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Dokumentenmanagementsysteme, Software für das Projektmanagement, software-gestützte Ausschreibungsplattformen oder ein ERP-System sind hier nächste mögliche Schritte.

Schritt 5: Überlegen Sie, ob Sie einen externen Berater brauchen

Wenn wir oben schreiben, dass die digitale Transformation Chefsache ist, bedeutet das nicht, dass Entscheider alles alleine machen müssen. Überlegen Sie ehrlich und ergebnisoffen, ob Sie fachliche Hilfe brauchen. Profis aus den Bereichen IIoT (Industrial Internet of Things) und Retrofitting (also das Nachrüsten älterer Maschinen mit digitaler Technik) können hier helfen. Aber auch Experten aus den Bereichen PropTech, Machine Learning, Big Data, Cloud-Computing, Automatisierung, Robotik und Augmented Reality können Impulse geben. Sie können dabei helfen, überhaupt erst die richtigen Instrumente zu finden, oder unterstützen bei der Umsetzung und Einführung. Mit einem Experten an der Seite können Sie auch besser einschätzen, wie viel Ihnen Investition in Digitalisierung mittelfristig bringt. Reflektieren Sie gemeinsam, welche Kosten Ihnen die digitale Transformation wert ist und wie sie sich amortisieren.

Schritt 6: Profitieren Sie von BIM, auch wenn Sie kein BIM nutzen

Gleich vorweg: Building Information Modeling ist mit gewissen Kosten und Aufwänden verbunden. Aber darum geht es hier nicht. Bei Sachen wie BIM herrscht der Glaube, dass dadurch automatisch alles besser wird. Doch BIM ist tatsächlich für jedes Unternehmen sinnvoll. Und BIM hat immer Ausprägungen, die praxisrelevant sind – selbst wenn Sie BIM nicht nutzen. Dadurch, dass Sie sich thematisch damit befassen, haben Sie eine bessere Vorstellung davon, was alles möglich ist. Sie stellen als Führungskraft in der Baubranche gewohnte Dinge infrage, wenn Sie einmal mit BIM gearbeitet haben.

BIM verändert nachhaltig Ihren Blickwinkel, Sie erschließen sich ganz neue Perspektiven auf Bauprojekte und Prozesse. Von der Entwicklung über Planung und Bauausführung bis hin zur Verwaltung und Nutzung.

Wenn Sie die Chance haben, sich mit Building Information Modeling zu beschäftigen, tun Sie das! Auch, wenn diese konkrete Methode in naher Zukunft nicht in Ihrem Unternehmen zum Einsatz kommt.

Schritt 7: Bilden Sie mit Schlüsselpersonen einen Digitalisierungs-Thinktank

Digitalisierung und Generationenwechsel haben etwas gemeinsam: Sie bringen Neuerungen mit sich, die Skepsis hervorrufen und die das (neue) Führungspersonal von Anfang an vermitteln muss. Finden eine digitale Transformation und der Generationenwechsel zur selben Zeit statt, ist diese Moderation umso wichtiger. Doch Skepsis und Zurückhaltung verfliegen wahrscheinlich schnell, wenn Sie die richtigen Personen einbinden, gerade auch Handwerker, die täglich auf dem Bau stehen. Machen Sie klar: Sie digitalisieren Prozesse rund um die eigentliche handwerkliche Tätigkeit. Sie erklären keinem Handwerker seinen Job, sondern wollen ihn in die Lage versetzen, diesen Job ungestört von Ablenkungen zu machen.

 

Wichtig: Beziehen Sie Ihre Leute frühzeitig mit ein. Präsentieren Sie kein fertiges Tool, sondern sprechen Sie die Mitarbeitenden auf die kommenden Änderungen an. Diese vier Punkte sollten Sie kommunizieren, wenn etwas transformiert wird:

 

  • Das möchte ich ändern.
  • Das sind die Gründe dafür.
  • Dieser Nutzen resultiert daraus.
  • Das ist mein Fahrplan.

 

Dann informieren Sie Ihre Mitarbeitenden so gut es geht kontinuierlich über den Fortschritt der Projekte oder nehmen bestimmte repräsentative Personen mit in die Kommunikation. Schauen Sie, wie diese Schlüsselfiguren reagieren, nehmen Sie ihr Feedback ernst. Teilen Sie auch Wissen, brechen Sie Informationssilos auf. Nur so können alle an der digitalen Transformation partizipieren.

Schritt 8: Seien Sie neugierig, aber testen Sie das Wasser, bevor Sie hineinspringen

Als Chef sollten Sie Erfahrungen mit anderen Softwareprodukten gesammelt haben. Oder mit einem Projekt, das nicht so gut funktioniert hat und bei dem Sie die entsprechenden Schlüsse daraus gezogen haben. Ein guter Anfang für ein erstes Projekt ist die Stundenerfassung. Gerade da gibt es für viele Mitarbeiter Schmerzpunkte: umständliche Zeiterfassung mit dem Zettel auf dem Bau, in Feuchtigkeit und Dreck. An dieser Stelle sind schnelle Erfolgserlebnisse möglich.

 

Vielleicht gibt es Mitarbeiter, die noch nie ein Smartphone in der Hand hatten – aber das ist eher selten und wird auch immer seltener. Die meisten haben zumindest schon Messenger-Dienste genutzt. Die Hürde zur Digitalisierung bei der Arbeit ist inzwischen viel geringer als noch vor zehn Jahren. Führen Sie diese ersten Tools mit einer positiven Kommunikation ein: Sie lösen den analogen Prozess ab, machen ihn digital und ersparen Mitarbeitenden somit Zeit und Aufwand. Etwa, weil niemand mehr Zettel auf der nassen, dreckigen Baustelle ausfüllen muss. Dadurch passieren weniger Fehler, die Stundenerfassung ist einfacher, schneller gemacht, keiner verliert mehr die Papiere, es gibt weniger unangenehme Telefonate. Und als Unternehmen erfüllen Sie gleichzeitig die aktuellen gesetzlichen Auflagen zur Zeiterfassung.

 

Ein Herzstück und typischer Kandidat für die weitere digitale Transformation ist die Kalkulationssoftware. Aber das ist für eine beginnende digitale Transformation noch zu komplex und kann den Kalkulatoren-Frust in Bauunternehmen sogar fördern. Suchen Sie sich für den Anfang etwas Kleineres, um Erfahrungen zu sammeln. Wenn das gut läuft, geht’s weiter.

Schritt 9: Vermeiden Sie Patchwork-Lösungen

Achten Sie darauf, dass Sie nicht nach und nach eine Vielzahl von kleinen Tools einführen. Die Devise „One job, one tool” funktioniert nicht. In einem guten Unternehmen laufen digitale Prozesse ineinander und bauen aufeinander auf. Wenn Sie zu viele verschiedene Tools und Apps nutzen, haben Sie am Ende ein Problem: Die Daten fließen nicht zentral zusammen, es entstehen Overhead-Aufwände. Nutzen Sie Tools, die möglichst viele Prozesse flexibel abbilden oder die mehrere Probleme, zumindest langfristig, lösen können. Dort, wo es nicht geht, sind einfache, verständliche Schnittstellen wichtig. Sowohl von Tool zu Tool als auch von digital zu analog. Achten Sie darauf, dass Möglichkeiten für Datenex- und -import vorhanden sind.

Schritt 10: Verabschieden Sie sich vom Perfektionismus

Lernen und Innovieren hört nie auf. Das bedeutet aber nicht, dass Sie permanent etwas infrage stellen oder immer wieder überlegen müssen, was noch besser geht. Es kann lähmen, wenn Sie Perfektion anstreben. Erfahrungsgemäß sind 80 Prozent durch die Digitalisierungsprojekte gut zu erreichen und die letzten 20 Prozent heben Sie nur mit ganz viel Aufwand. Das ist ein Problem, das oft sehr strebsame und besonders exzellente Führungskräfte haben: Sie kämpfen für diese 20 Prozent in einem Bereich, während in anderen Bereichen die 80 Prozent ein viel größerer Hebel wären.

Daher kann es eine gute Empfehlung sein, nicht an diesen 20 Prozent zu arbeiten, sondern nach neuen 80-Prozent-Chancen zu suchen. Und bitte stellen Sie nicht die ganze Software-Lösung oder den ganzen Prozess infrage, wenn diese letzten 20 Prozent nicht kurz- oder mittelfristig erreicht werden. Haben Sie Geduld. Innovation lebt vom Mut zu Neuem, nicht von Perfektion von Anfang an.

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